Schneid mich schön
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6. Juli, 7 Uhr. Linda hat Angst. Der Schnitt, das Blut, die Schmerzen. Sie ist verunsichert, lange schon. Gerne möchte sie sich mögen, ihren Körper, aber die Brüste sind zu klein, sie wollen nicht zu den Hüften passen. 210 Gramm Silikon auf beiden Seiten, sie sollen Linda endlich richtig machen, nach 22 Jahren, mit gut gefüllten Körbchen, wie die der Schwester. Immer die selben Bilder. Immer war Linda neidisch. „Ich hätte ja auch mit einem B-Körbchen zur Welt kommen können, ganz normal.” Sie steht im Zürcher Seefeld vor ihrem Chirurgen. Geschlafen hat sie keine Stunde, letzte Nacht nicht und überhaupt wenig, seit sie sich vor Wochen für den Eingriff entschieden hat.
Indem sie ihren Körper künstlich verändern lässt, tut Linda, was hierzulande viele in ihrem Alter tun. Die Schweiz ist Spitzenreiterin in Sachen Schönheitsoperationen. Nirgendwo auf der Welt legen sich mehr Menschen unters Messer, sagen Zahlen der Chirurgengruppe Acredis. Ein Drittel aller Eingriffe: bei Menschen zwischen 17 und 30 Jahren. Doch warum wollen, brauchen sie die vermeintliche Korrektur am eigenen Körper? Warum wollen sie diese, kaum ausgewachsen, nach zwei Jahren im Job, in der ersten Beziehung, grad dann, wenn’s im Leben richtig losgeht? Wenn alles doch noch frisch scheint, straff, gesund? Wenn noch gegeben ist, wofür sie die nächste Generation irgendwann beneiden: die Jugend.
Linda hatte sie lange Zeit für Barbies gehalten, die Mädchen, die sich eine Brustvergrösserung wünschen. Und die Angst war zu gross. Irgendwann aber lag sie mit ihrem Freund auf dem Bett. „Er merkte, wie unglücklich ich war, und sagte, lass uns mal googlen.“ Sie hatte ein Interview in einer Tageszeitung gelesen und erfuhr vom Breast Atelier im Zürcher Seefeld, einem Ableger der Schönheitsklinik Pyramide, eine Tochterfirma nur für Brustoperationen. Die Pyramide sei renommiert, dachte sie sich, da könne nichts schiefgehen. Das Breast Atelier war ihr schon aus der Werbung im Tram bekannt. Das schaffte Vertrauen. So fiel der Entschluss, sich da beraten zu lassen. Chirurg Nicholas Waughlock stand Linda für ihre medizinischen Fragen zur Seite: „Wie lange überlegen Sie schon, eine Brustoperation machen zu lassen?“, habe er bei der ersten Sitzung noch gefragt. „Ich war so unendlich nervös“, erinnert sie sich.
Linda erwähnte ihre Komplexe, „mehr musste er nicht wissen.“ Bei der zweiten Sitzung einen Monat später stand fest, dass sie es durchziehen würde. „Man wird in einen Aufwachraum geschoben“, erzählt sie. „Ich war benommen, im Liegen ging alles noch einigermassen, aber seelisch ging es mir nicht gut.“ Sie habe sich allein gefühlt. Dagegen habe auch der Kaffee nicht geholfen, den ihr die Pflegerin serviert habe. Geahnt, welche Schmerzen auf sie zukommen, hat Linda beim Anziehen der Bluse: „Es war die Hölle.“ Ihre Schwester holte sie ab, irgendwie schaffte sie es nach Hause.
Gemäss Angaben der Klinik sind die Kundinnen durchschnittlich 24 Jahre alt. Für diese ist das Angebot nicht zu übersehen: Schönheitskliniken werben dort, wo junge Leute heute einen Grossteil ihrer Freizeit verbringen, online, in sozialen Netzwerken. So wirbt das Breast Atelier auf Facebook mit einer „Best Friends Night“, mit „leckeren Drinks und guten Vibes auf der Dachterasse“ – der Blick ist offen zum See hin, da öffnen sich Blusen und Portemonnaies lockerer. Ziel dieser Informationsabende ist gemäss Breast Atelier die Enttabuisierung des Themas. „Meine Dinger, mein Ding“, steht auf einem riesigen Plakat am Zürcher Hauptbahnhof geschrieben, dahinter stand ebenfalls das Breast Atelier. Eine Konkurrentin, die Lucerne Clinic, wirbt mit einer „Aktion Busenfreundin“: Zu Zweit kostet der Eingriff je 7200 Franken, weil laut Klinik „geteilte Freude doppelte Freude“ ist.
Kliniken und Praxen buhlen um immer jüngere Kundinnen und Kunden, die Branche hat sich in den vergangenen Jahren verändert. Der Markt wächst. Auch, weil die Hemmschwelle, sich für einen Eingriff zu entscheiden, mit den Preisen sinkt: Wer die Eingriffe, die bei einigen hundert Franken beginnen, nicht zahlen kann, dem wird vielerorts eine Broschüre zur Finanzierung in die Hand gedrückt: Cash Med vergibt Kredite auch an junge Leute mit tiefem Einkommen. Auf dem Faltblatt steht: „Ihre Schönheit wird es Ihnen danken.“
Im Breast Atelier wird der Busen für pauschale 9800 Franken vergrössert, verkleinert, gestrafft. Im Ausland kosten Eingriffe mancherorts die Hälfte. Die Klinik ist für Schweizer Verhältnisse vergleichsweise günstig, weil die Patientin direkt nach der Operation nach Hause geht. Linda hat sich für die Schweiz entschieden, „weil mein Vertrauen in unsere Medizin grösser ist als in Kliniken im Ausland.“
Schönheits-Operationen sind längst nicht mehr nur Frauensache. Auch Männer wollen anders aussehen: Die Gentlemen’s Clinic, die vor zwei Jahren in Zürich gestartet ist und inzwischen auch einen Ableger in Genf eröffnet hat, ist die erste Schönheitsklinik nur für Männer. „Männern ist die Arbeit extrem wichtig”, sagt Yuan Yao, Direktorin der Klinik nahe dem Opernhaus. Sie beobachtet, dass ihre Kunden nicht zehn Jahre jünger, sondern frisch aussehen wollen. Dynamisch. So, als hätten sie genug geschlafen und trotzdem hart performt. Manche der Kunden würden sehr viel arbeiten, „sie wollen natürlich nicht aussehen wie kurz vor einem Burnout“, sagt sie, „Männer definieren sich über Erfolg“. 80 Prozent derer, die hier ein und ausgehen, sind unter 40, der Grossteil unter 35. Viele der Kunden sind unter 25, wie Dominic.
Dieser sitzt in einer Bar in der Zürcher Innenstadt, nippt an seinem Glas und starrt auf das Faltblatt mit dem Versprechen nach möglichen Ratenzahlungen, für den Fall, dass er sich seine Bauchdecke straffen lässt. „Schon krass“, sagt er, „voll verführerisch alles.“ Wenn er ein Spürchen sicherer gewesen wäre vor seinem Beratungstermin, dann wäre er jetzt komplett angetan von dieser glamourösen, stylischen Welt. Dann würde der Schauspielstudent eine Finanzierung mit hohen Zinsen in Raten bestimmt nicht ausschliessen. Dominic hat innert einiger Jahre 36 Kilo abgenommen, nun ist da überschüssige Haut, die ihn stört. Er berichtet von einer schweren, schwarzen Türe, schönen Frauen in schmalen Anzügen, der Gin-Bar mit den mächtigen Ledersofas, einer Schieferplatte mit Buzzer drauf für allfällige Wünsche. Auch ein Schuhreiniger sei zu seinen Diensten gewesen.
Gross im Trend ist es bei den Herren gerade, sich Fett und Drüsengewebe an der Brust entfernen zu lassen, Gynäkomastie, heisst das. Waren es vor zehn Jahren noch jährlich acht oder neun solcher Operationen, führt die Gentlemen’s Clinic heute nach eigenen Angaben monatlich 20 bis 25 Gynäkomastien durch. Die Wangen mit Hyaluronsäure zu füllen, könnte sich Dominic auch vorstellen, das hebt Haut an und füllt, formt. Und das ist ein kleiner Eingriff, etwas anderes als der Bauch. Doktor Werner Gallenkämper war nämlich zurückhaltend, was den Bauch anging. „Ich sei jung, der Eingriff nicht so häufig wie andere, er brauche eine Vollnarkose.“ In der Hochpreisinsel Schweiz ist man vorsichtig, betont die Qualität, die fachliche Stärke, setzt auf gepflegtes Ambiente und Rundumbetreuung. Denn plastischer Chirurge ist keine geschützte Berufsbezeichnung. Jeder Zahnarzt kann kommen und sich Schönheitschirurg nennen, wenn er will. Was zählt, ist auch hier das Vertrauen einflössende Bild.
Dieses Bild kommuniziert Schönheitschirurg Nikolaus Linde. Er operiert viele Patientinnen und Patienten. Sie kommen sowieso zu ihm, ohne grosse Überzeugungsarbeit. Linde hat seine Hände auch in der Gentlemen’s Clinic mit drin. Da und an vielen anderen Orten, wo es ins Besondere ums Fettabsaugen, aber auch um andere Eingriffe geht. „Immer mehr Narzissten“, sagt er, klar habe man in dieser Welt mehr Erfolg wenn man dem gängigen Schönheitsideal entspreche. „Bessere Beziehungen, bessere Jobs, bessere Leben.“ Linde spricht schnell und selbstsicher zwischen zwei Terminen in seiner Klinik am Zürcher Stauffacher. Er redet über Bikini Bridges, Thigh Gaps oder Ab Cracks, alles Trends, die für ihn Alltag, für seine Kunden und Kundinnen von grosser Bedeutung sind. Sie verlangen sehr dünne Körper. Linde selbst ist schlank, zudem braun gebrannt, grau gelockt und faltenfrei. „Ich teste fast alles auch an mir“, sagt er. Dabei geht es ihm um eine „tolle Ausstrahlung“.
Eine seiner Kundinnen ist Cindy, 24, nicht das erste Mal auf seiner Liege in einem Behandlungszimmer. Sie erzählt, dass sie sich vor kurzem das leidige Fett am Bauch in ihre Brüste habe spritzen lassen. „Dr. Linde hat das tiptop gemacht“, sagt das blonde Mädchen mit vollen Lippen, die er auch zweimal aufgespritzt hat, aber das sei nun wirklich kein Ding. Hyaluron, zwischen 300 und 600 Franken, mal eben eine halbe Stunde Zeit einrechnen. Ein richtiges „Ding“ war laut Cindy auch diese Fettverlagerung nicht, zwei Wochen später war sie mit ihrer zurückerlangten Bikinifigur am Strand in Thailand mit ihrem Freund, dem Fitnessfreak, wie sie sagt. Für Cindy war die Entscheidung leicht, „man geht essen, einmal zu viel, zweimal zu viel, Apéro hier, Apéro da. Sport hilft gegen gewisse Polster echt nicht.“
Den Eingriff vor ein paar Wochen hat sie nur noch vage in Erinnerung: „Du bist in einem Dämmerschlaf, wenn es vorbei ist, dann fragst du dich, wann es denn nun wirklich losgeht.“ 6000 Franken hat der Spass gekostet. Cindys Freundin macht sich nun die „Reiterhosen“, sie ist eine „Birne“, resistenter Speck seitlich der Oberschenkel. Cindy kann „Verschönerungen“, wie sie die Eingriffe nennt, nur empfehlen: Schwupps war Kleidergrösse 34-36 zurück, vier oder fünf Kilo weg und der Freund begeistert. „Hammer“, habe er gesagt. Aber gemacht habe Cindy den Eingriff für ihr eigenes Körpergefühl, sich selbst zu mögen sei das A und O, sagt sie.
Anja Gasser, 25, schreibt auf ihrem SchuSchublog seit sechs Jahren über die Trends, die Looks der Strassen und Laufstege. Eine Figur zu haben wie das 19-jährige Model Alexis Ren sei gerade Trend, sagt Gasser. Schlank und sportlich, aber trotzdem Po und Brüste. Und die vollen Lippen von Kylie Jenner, ebenfalls Model. „Früher war es den meisten Kindern bis etwa zum zwölften Lebensjahr egal, wie sie aussehen,“ sagt Gasser, heute sei das anders. Heute würden bereits neunjährige Kinder mit Make-up beginnen und extrem auf ihr Äusseres achten. „Die sozialen Medien haben unser Bedürfnis nach Selbstoptimierung enorm geprägt. Täglich werden bereits Jugendliche und Kinder mit perfekt inszenierten Fotos konfrontiert.“ Gasser sagt, junge Leute seien heute einem grossen Druck ausgesetzt. Kein Wunder ginge man generell locker mit dem Thema Schönheitsoperation um: „In meinem Freundeskreis gibt es mehrere Personen, die bereits Eingriffe hinter sich haben. Grösstenteils Brust, Lippen und Nase.“
Die Sekundarschülerin Lili sitzt vor einem stillen Mineralwasser in einem ebenfalls stillen, hübschen Café in Glattbrugg und verzieht kurz ihren Schmollmund, sie hat dichtes, dunkles Haar, ihr junger Körper steckt in einem weissen Sommerkleid ihrer Mutter. Ihre Finger spielen mit einer widerspenstigen Strähne, die aus einem lose frisierten Dutt gerutscht ist. So mag sie es: „Easy und doch frisiert.“ Gesehen hat sie den Look bei Selena Gomez, Lili bewundert Justin Bibers Ex-Freundin für deren Schönheit. Morgens, wenn Lili aufwacht, schaut sie sich auf Snapchat die aktuellen Bilder, die „Styles“ an. Die ihrer Freundinnen und die der Stars.
Auf dem Schulhof werden Bilder poliert und geposted, hochgeladen auf eine der Plattformen. Schön sein ist ganz einfach, zumindest in den sozialen Medien, die mehr Glanz hergeben als der Pausenplatz. Hier verliert der seine Biederkeit, seine Enge, das schöne Leben ist greifbar nah, das schöne Leben mit den schönen Menschen, von dem jeder ein Teil sein kann. Lili erzählt: „Sie tragen Bodyshapers, damit Beine und Taille schlanker aussehen. Po und Brüste darf man ruhig sehen.“ Ein bisschen quetschen, das helfe der Form. Korsette, die ein Jahrhundert lang verschwunden waren aus den weiblichen Kleiderschränken, sind wieder da. Es scheint plötzlich naheliegender, die Unsicherheit weg zu pressen oder weg zu schneiden, als seine Profile in den sozialen Medien zu löschen.
Auf Instagram schaut sich Lili Tutorials an. Da lernt man zum Beispiel, wie sie die Lippen voller erscheinen lassen kann. „Meine Freundin hat’s ausprobiert, es funktioniert. Aber man muss aufpassen, dass die Lippen nicht blau und taub werden.“ Lili presst ihre Lippen zusammen, als würde sie gleichmässig Farbe darauf verteilen wollen. „Kann man auch einfacher haben, wie die Kardashians, die malen einfach über die Lippen hinaus, so schauen sie voll aus.“ Contouring heisse das, sei grad gross. Oder: „Das Gesicht baken, kommt von backen, keine Ahnung, warum.“ Da gehe es darum, in vielen Make-up-Schichten dem Gesicht Kontur zu geben, dunklere und hellere Punkte und so.
Lilis Klassenkameraden stehen auf Beyoncé und Rihanna, sie mag alte Musik, Janis Joplin, findet Rap aggressiv. Lili ist eigentlich ein ganz normales Mädchen, doch manchmal sehen das die Schulfreunde anders. Plötzlich wurde sie Online gemobbt, Cybermobbing, Klassenkameradinnen haben Bilder von Lilis Instagram-Account genommen und unter die Bilder geschrieben: „Nimm mich, ich bin zu haben.“ Das hat Lili verängstigt, sie nimmt nun Unterricht in Tae Bo, um sich und ihr Selbstwertgefühl zu verteidigen. Eigentlich, sagt sie, fühle sie sich sich wohl in ihrem Körper. Aber dieses Cybermobbing, das habe sie verunsichert. „Zudem stresst mich meine unreine Haut.“ Und der Undercut nervt, ganz kurz geschnittene Haare unter der eigentlichen Frisur, „den hab ich mir schneiden lassen, als er neu hip war“, sagt sie. Wie Rihanna, die hat auch dichtes Haar. Lili kann einen Undercut gut tragen, wahrscheinlich fast alles. Lili sagt, ihr sei wichtig, eine positive Ausstrahlung zu haben, fit zu sein, natürlich. Aber wenn sich Menschen in ihrem Körper nicht wohl fühlten, dann sei eine OP wohl okay. „Wenn sie ihrem Ideal damit näher kommen, warum nicht?“
Eine Studie der Gesundheitsförderung Schweiz vom August 2015 kommt zum Schluss: An Deutschschweizer Schulen sind die Jugendlichen in den letzten Jahren unzufriedener geworden mit ihren Körpern. 75 Prozent der Mädchen sagen, dass sie schon mit dem Gedanken gespielt haben, ihren Körper zu verändern. Je besser sie sich gemäss der Studie von den Medienbildern abschirmen können, desto weniger oft geben sie an, sich einen anderen Körper zu wünschen. Dagmar Pauli, Chefärztin an der Zürcher Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, beobachtet den Kampf junger Menschen um richtig und falsch, um normal und perfekt jeden Tag, seit 30 Jahren. „Die Verunsicherung hat stark zugenommen“, bestätigt sie. Es braucht Zeit, sich an den eigenen Körper zu gewöhnen, mit all den Turbulenzen der Pubertät. Die Unsicherheit, die sich schon im Kindesalter einnistet, wächst oft nicht aus dem Körper, aus der Seele heraus. Was tun, mit einer Generation, die damit aufwächst, dass in einer virtuellen Welt alles retuschiert werden kann, was in der Realität nun mal da ist?
Pauli spricht von einem klaren Zusammenhang zwischen den Bildern in den sozialen Medien und dem steigenden Druck auf die Jugendlichen. „Zehn, zwölfjährige Buben wollen ins Fitnesscenter statt auf den Fussballplatz“, Spass sei hinter das Ideal vom eigenen Körper gerückt. „Und ganz junge Mädchen erzählen mir von Thigh Gaps, dieser Lücke, die sie sich zwischen den Oberschenkeln wünschen, weil sie es auf Bildern sehen, oftmals in der Werbung und in den sozialen Medien.“ Oben am Busen oder an den Armen fänden sie sich nicht zu dick, trotzdem würden sie hungern, um dem Trend der Thigh Gap nachzukommen, oder um einen superflachen Bauch zu haben. Sie verstünden nicht, dass die Bilder bearbeitet seien. „So entstehen ungesunde, unnatürlich Körperideale.“
Die nächste Generation dürfte sich laut Pauli noch schwerer damit tun anzunehmen, dass immer einer reicher sein wird, einer kluger und schöner. Junge Menschen würden nämlich gezielt verunsichert und dann glauben gemacht, dass Schönheitschirurgie ihre Selbstwertprobleme lösen könne. „Wenn sich nicht bald die Gesetzeslage ändert und Werbung verboten wird, wenn nicht ein Mindestgewicht für Models eingeführt wird wie in Italien und Frankreich, dann sieht es finster aus für das Körpergefühl der nächsten Generation“, warnt Pauli. Für die Expertin ist klar: Der Vergleich mit den optimierten Bilder aus den Medien beeinträchtigt das Selbstwertgefühl in Bezug auf den eigenen Körper: „Der gesellschaftliche Druck, die geschönten Bilder prägen das, was wir schön finden.“ Und junge Menschen können sich oft besonders schlecht davon abgrenzen. Christian Schemer, Professor für Allgemeine Kommunikationswissenschaft am Institut für Publizistik in Mainz, erforscht Vorurteile zu sozialen Gruppen, Werbewirkung und Konsumentenverhalten. Er pflichtet Pauli bei. Medienakteure hätten immer eine wichtige Vorbildfunktion innegehabt. „Das war schon mit dem Fernsehen so.“ Er sieht aber einen Unterschied darin, dass Mediennutzer – auch Kinder und Jugendliche – nun teilhaben können am Schönsein: „Soziale Medien verstärken den Wettbewerb, weil viele Privatmenschen sich idealisierter darstellen als sie sind und selbst nachbessern.“
Auch wegen dieser Idealisierung werden Eltern heute mit ganz anderen Veränderungswünschen konfrontiert als mit Frisuren und Fingernägeln. Gesetzlich befinden sich Ärzte in einem Graubereich, wenn sie Minderjährige operieren. Gemäss der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften ist die Urteilsfähigkeit zentral. Bei Patienten in der Altersstufe von 12 bis 16 Jahren kommt es auf das jeweilige Kind und die Art des Eingriffs an; die Urteilsfähigkeit müsse von Fall zu Fall abgeklärt werden. Demgegenüber dürfe bei Jugendlichen ab 16 Jahren von deren Urteilsfähigkeit ausgegangen werden, wenn es nicht um einen aussergewöhnlichen Eingriff mit erheblicher Tragweite gehe. Im Leitfaden für die Praxis, den die Akademie herausgibt, steht: „Die Urteilsfähigkeit wird fallbezogen beurteilt. Im konkreten Fall muss geprüft werden, ob die jugendliche Patientin aufgrund ihrer geistigen Reife in der Lage ist, die Tragweite der Entscheidung richtig einzuschätzen, ihren Willen äussern und entsprechend handeln kann. Trifft dies zu, ist sie allein zuständig für die Erteilung der Einwilligung zu einem Eingriff.“
Die Zürcher Schönheitschirurgin Cynthia Wolfensberger schneidet zwar ungerne an Mädchen oder Jungen und sucht das Gespräch auch mit den Eltern. Dies gilt vor allem im Intimbereich. Sie sagt aber: „Wenn ein Mädchen in seiner Sexualität eingeschränkt ist, weil es Probleme mit seinen Schamlippen hat, dann helfe ich ihm.“ Keine 12-Jährige brauche ihre Mutter, um sich die Pille verschreiben zu lassen, für eine Beratung bezüglich ihrer Geschlechtsorgane brauche sie die ihrer Meinung nach auch nicht. In diesen Fällen sei in erster Linie Aufklärung gefragt, sagt die Chirurgin. „Wie eine normale Erwachsene aussieht, was die Funktion der einzelnen Körperteile ist.“ Wie immer gehe es um Wissensvermittlung, „aber bei klaren Anomalien muss ich mit einer Operation nicht warten, bis jemand 18 oder 20 ist“, sagt Wolfensberger.
Cynthia Wolfensberger findet es nicht dramatisch, dass sich zusehends mehr und zusehends jüngere Leute unters Messer legen. In ihren Augen ist eine Tätowierung kein kleinerer Eingriff als ein Implantat, Botox nicht folgenreicher als Haarfarbe: „Würde meine 21-jährige Tochter lieber Falten vorbeugen anstatt ihre Haare blau zu färben, sähe ich ähnlich wenig Risiken. Allergien sind in beiden Fällen möglich, das Resultat verschwindet in vergleichbar kurzer Zeit.” Zudem könne selbst ein zu gross operierter Busen zurückkorrigiert werden, wenn sich der Trend wandle: „Jedes Implantat, auch wenn es für ein ganzes Menschenleben halten würde, kann entfernt werden.“
Make-up, gefärbte Haare, gepolsterte Lippen - was ein junger Mensch schön finden soll oder nicht, ist besonders stark vom kulturellen Umfeld geprägt. „Anders wäre nicht zu erklären, dass Schönheitsoperationen in bestimmten Gesellschaften wie etwa Kolumbien oder Brasilien eine enorme Akzeptanz haben“, sagt Francis Müller, Soziologe mit Forschungsschwerpunkt Identität, tätig bei Swiss Future, der Schweizer Vereinigung für Zukunftsforschung. In Ländern wie etwa Venezuela spielten ökonomische Ressourcen eine unwichtige Rolle. Operiert wird auch, wenn das Geld eigentlich fehlt. Im Gegensatz zu südamerikanischen Ländern ist man in der Schweiz noch immer sehr vorsichtig, was das Reden über Eingriffe angeht. „Die Schweiz ist von der deutschen Romantik geprägt, sie ist zurückhaltend und weniger zeigefreudig als andere Kulturen“, die Eingriffe entsprechend diskret. Doch diese Einstellungen sind stetigem Wandel unterworfen. In China oder Japan beispielsweise werden Schönheitsoperationen laut Müller in Zukunft noch viel mehr soziale Akzeptanz erhalten. Das Schönheitsideal werde deshalb kaum für immer westlich geprägt sein. „Schönheitsoperationen sind Körpermutationen wie Piercings oder Tätowierungen, sie sind Folge eines normativen Musters. Man bezieht sich auf eine bestimmte Vorstellung von Identität und modifiziert den eigenen Körper entsprechend”, sagt Müller. Doch die Vorstellung der eigenen Identität ist je nach Persönlichkeit stärker oder schwächer von gesellschaftlichen Trends geprägt. Für Schönheitschirurgin Wolfensberger ist klar: „Ein starker Mensch wird stärker, ein schwacher findet immer neue Bereiche, an denen er herumbasteln wird.“
Linda sitzt aufrecht im hellen Wartezimmer der Klinik im Seefeld, zur Hand sind Gummibärchen und Mineralwasser aus eleganten Karaffen. Sechs Wochen nach der Brustvergrösserung geht es ihr gut. Aber vergessen werde sie die Schmerzen nicht, die viel schlimmer als in ihren dunkelsten Ängsten gewesen seien. „Vor solch starken Schmerzen hat mich niemand gewarnt.“ Gekrochen sei sie, trotz Cocktail aus dreierlei Schmerzmitteln, die man ihr mitgegeben hat, darunter ein sehr starkes und ein Mittel, das die Magensäure im Griff hält. „Dazu kam das Geschmier von braunem Desinfektionsmittel und Wunden, der Gestank, nicht mal duschen konnte ich die ersten 24 Stunden.“ Das bessere Körpergefühl habe auf sich warten lassen. „Es hat Wochen gedauert, bis ich schmerzfrei war“, sagt sie. Das Schlimme sei gewesen, dass sie am Anfang verunstaltet ausgesehen habe: „Der Anblick im Spiegel ist kein schöner, solange sich die Brüste noch nicht gesenkt haben.“ Dass Linda drei Tage nach dem Eingriff so starke Schmerzen hatte, dass sie kein Wasserglas halten konnte, ist ihr rückblickend egal: „Das Gefühl, als ich im Victorias Secret den schwarzen Spitzen-BH füllte, vergesse ich nie”, sagt sie.
„Du füllst Leere an”, sagt Dominic auf seinem Stuhl in der Bar vor seinem Glas. Ein paar schwierige Levels überspringen, ein bisschen schummeln, wie in einem Computerspiel. „Wir wollen nicht game over sein, nicht verlieren. Wenn du Tricks und Cheat Codes kennst, dann macht’s Spass“, sagt er. Er spricht von einer kollektiven, grossen Angst vor der Vergänglichkeit. Und sagt dann: „500 Franken, um besser auszusehen, fünf Jahre jünger? Gut möglich, dass ich dieser Versuchung nicht widerstehen werde.” Tut’s einer, tun’s alle, sagt er, zuckt mit den Schultern und meint: „Ich glaube, schöne Menschen sind erfolgreicher.“ Ob er sich schon genug schön findet für diese Welt, weiss er noch nicht. „Wir suchen die Herausforderung in der Selbstoptimierung“, sagt Schönheitschirurgin Cynthia Wolfensberger, und lächelt ihr warmes Lächeln. „Wir haben Nahrung, Wärme, der Krieg ist gefühlt weit weg. Irgendwie müssen wir die Jährchen doch verleben.”
Lili, die 15-jährige Schülerin, wartet noch. Sie schaut sich weiter Tutorials auf Youtube an, wie man seine Haare zum Glänzen bringt, wie man sich schminkt, wie man ein bisschen hübscher ist als sowieso schon. Welche Looks die Welt gerade liebt. Nicht heute, nicht morgen, aber irgendwann, sagt Lili, will sie vielleicht auch ausprobieren, wie es wäre, perfekt zu sein.