Der Wind des Wandels
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Januar 2017, Worldwebforum, StageOne-Halle in Zürich. «Dear Mr. Bundesrat, dear Hannes, may I ask you to come up on stage?» Musik von AC/DC ertönt aus den Lautsprechern, blaue Lichtkegel wandern durch den Raum, Sekunden später steht Johann Schneider-Ammann auf der Bühne. Mit seiner Rede muss Schneider-Ammann vieles leisten. Vor allem muss er Zukunftsoptimismus versprühen, denn in diesem Moment ist er das Gesicht der Digitalisierung, der Innovation, des Fortschritts. Ausgerechnet er, über den die Welt noch vor kurzem lachte, als er sich etwas gar bieder an die Kranken gewandt hatte. Heute spricht er nicht zu den Kranken, sondern zu den Mächtigen. Englisch statt Französisch. Ansonsten: dasselbe Outfit, schwarzer Anzug und blaue Krawatte mit weissen Punkten, dieselbe ernste, monotone und nicht ganz akzentfreie Art. Schneider-Ammann beginnt mit einem chinesischen Sprichwort: «When the wind of change blows, some build walls, others build windmills.»
An der zweitägigen Business-Konferenz zur digitalen Transformation, Ticketpreis über 1000 Franken, riecht dieser Wind des Wandels wie ein teures, scheinbar verführerisches Männerparfüm, das man einfach haben muss. Im Publikum sitzen Vertreter praktisch aller grossen Schweizer Unternehmen, Politiker, Diplomaten, Wissenschaftler. Vor Schneider-Ammann auf dem Rednerpult liegt ein kleines Tablet. Darauf ist ein Manifest geladen. Es fordert: «Die Schweiz muss in der digitalen Transformation eine führende Rolle weltweit spielen.» Gezeichnet: Verein Digital Switzerland.
Nach Schneider-Ammann wird Tim Berners-Lee sprechen, angekündigt als «der Erfinder des Internets». Genauer gesagt ist er Erfinder der Programmiersprache HTML und damit Wegbereiter des World Wide Webs sowie Professor am MIT und in Oxford. Berners-Lee wird sagen, dass er frustriert sei. «Wir hofften auf eine ‹World without borders›. Dass alle mit allen kommunizieren können. Doch das Gegenteil ist eingetroffen.»
Doch nur die Mächtigen werden seine mahnenden Worte hören. Die Fernsehkameras werden zu diesem Zeitpunkt bereits weggezoomt haben. Das SRF, mit dem Wissenschaftsmagazin «Eco» bis dahin live auf Sendung, darf die Rede aus rechtlichen Gründen nicht übertragen. Und der News-Moment — Schneider-Ammann überreicht Berners-Lee einen «Lifetime-Achievement-Award» — wird vorbei sein. Die Zeitungen werden am Tag danach in aller Kürze darüber berichten. Blick am Abend: «WWW-Erfinder ausgezeichnet». 20 Minuten: «Erfinder des WWW geehrt». Nur der Blick wird ausführlich berichten. Titel des Beitrags: «Mehr Windmühlen braucht die Schweiz». Berners-Lee kommt mit einem Bild und einem Satz darin vor. «Wir müssen es neu erfinden», wird er zitiert — abstrakte Innovationsforderung statt konkrete Kritik. Ausserdem wird der Leser erfahren, dass der Stargast rote Turnschuhe getragen hatte.
So ist es Schneider-Ammann, der nun die Scheinwerfer nutzt, die auf ihn gerichtet sind. Er sagt: «Manche sehen nur die Risiken der Digitalisierung.» Er meint: Den Verlust von Arbeitsplätzen oder ganzen Industrien. Das seien die Leute, die Mauern bauen wollten. «Andere sehen die Chancen, auf mehr Wohlstand, mehr Jobs.» Das seien die Leute, die Windmühlen bauten. «Ich und der ganze Bundesrat stehen voll hinter diesem Manifest. Wir müssen die bestmögliche Basis schaffen, damit die vierte industrielle Revolution jedem nützt. Dieses Manifest ist die Forderung nach mehr Windmühlen in unserem Land.» Applaus. Dass ein Wind des Wandels weht, ist in diesem Moment allen im Raum klar. Doch in welche Richtung?
Januar 2017, der Tag nach dem Worldwebforum, Hörsaal HG F30 der ETH in Zürich. Berners-Lee hält seine Rede noch einmal. Nicht vor den Fernsehkameras, auch nicht vor den Mächtigen, sondern vor Studenten. Er sagt: «Es findet eine extrem problematische Zentralisierung des Internets statt.» Einige wenige Plattformen würden den Kommunikationsprozess steuern. Statt direkt miteinander, kommunizieren die Menschen über diese «Silos». Dort würden Menschen ausschliesslich mit ähnlichen Menschen kommunizieren. Und die Silos kontrollieren, was wir in unserem Feed sehen, worüber wir lesen. Damit könnten sie unsere Gedanken und somit auch unsere Gefühle beeinflussen. Berners-Lee fordert: «Was wir brauchen, ist eine Dezentralisierung des Internets.» Oder in anderen Worten: Die digitale Revolution ist gescheitert. Wir müssen das Internet neu erfinden.
Je stärker der Wind des Wandels weht, so scheint es, desto grösser wird das Lager der Kritiker, länger die Liste der Ängste, dicker der Katalog der Gefahren. Smartphonesucht, Computerviren, Datendiebstähle, Wahlmanipulationen, Branchenkrisen, ausbeuterische Geschäftspraktiken und Jobverluste. In der digitalen Revolution wird die Macht auch an unangenehme Orte verschoben. Wenn nun die Schweiz hier eine führende Rolle spielen soll: Wohin soll sie den Wind des Wandels steuern? Wie soll sie ihre Windmühlen ausrichten?
Juni 2017, Sihlquai in Zürich, Haus mit versprayter Fassade, im Eingang Plakate für Demos, ein Afrofunkkonzert oder eine Velobörse. Hier ist das Basecamp der global tätigen Schweizer Digitalwirtschaft, die Büros des Vereins hinter dem Digitalen Manifest, das mehr Windmühlen fordert und hinter dem der Bundesrat voll steht: Digital Switzerland. Der Wind des Wandels riecht hier wie eine Kreditkarte ohne Bezugslimite: einfach nur gut. Nicolas Bürer, Geschäftsführer, stellt seinen Pappbecher mit Kaffee auf dem Tisch eines Sitzungszimmers ab. «Veränderungen sind immer auch eine Chance», sagt er. In diesen Räumen erscheinen Berners-Lees Frust, seine Forderung nach Dezentralisierung weit weg und etwas gar konkret. Die Digitalisierung ist kein menschengemachtes Projekt, das es gemeinsam hinzubiegen gilt. Sie ist eine Naturkraft, die es zu nutzen gilt wie eine neu erschlossene Energiequelle. Es kommt schon gut für uns, wenn wir jetzt bloss mitmachen. Immer mehr Selbständige und weniger Unselbständige? «Wir sehen das positiv. Der Staat muss die Gesetze anpassen.» Aussterbende Branchen? «Früher war die Schweiz bekannt für Schokolade, Uhren, Geld, Pharma. Morgen werden es Blockchain, Fintech, Virtual Reality, Internet of Things oder Cybersecurity sein.» Jobverluste? Einschränkungen der Privatsphäre? «Wir möchten die Leute bei ihren Ängsten abholen und die Chancen aufzeigen.»
Kaum ein Schweizer Grossunternehmen, welches nicht vom Verein vertreten wird: Swisscom, UBS, ABB, AXA, Coop, Migros, Mobiliar, Post, Credit Suisse, NZZ, Tamedia, Ringier, die SRG, SBB, Swiss, Swisslife, Helvetia, Zurich, CSS, Helsana – sie alle sind dabei. 75 Mitglieder haben einen Jahresbeitrag bis maximal 50‘000 Franken bezahlt. Bis vor kurzem hiess der Verein noch «Digital Zurich 2025» und hatte zweieinhalb Angestellte. Heute sind es deren acht. «Die meisten Mitglieder sind in der ganzen Schweiz und nicht nur in Zürich tätig», sagt Bürer zur Namensänderung, «da haben wir recht schnell hochskaliert.»
Das Digitale Manifest sei während eines halbtägigen Workshops entstanden, erzählt Bürer. Der Verein hatte dafür 50 sogenannte «Digital Shapers» geladen. Im Manifest wird gefordert, die digitale Transformation in Bereichen wie Forschung, Bildung, Wirtschaft, Gesellschaft, Innovation oder Infrastruktur voranzutreiben. Oder konkret: Steuererleichterungen für Startups, zwei Milliarden Franken für die Hochschulen ETH und EPFL, einfache Migration für Talente aus Drittstaaten, Computer Science als Pflichtfach in der Schule. «Der Staat muss Enabler sein», sagt Bürer.
Von Gefahren der Digitalisierung spricht Bürer nicht. Eher nennt er sie «Ängste». Er werde bei Auftritten immer mal wieder mit Voten konfrontiert wie «Wir wollen das doch gar nicht.» Da müsse er klarstellen: «Wir sind nicht verantwortlich für die Digitalisierung. Wir erklären nur, dass die Revolution kommen wird und was das genau ist, was kommt.» Und da gehe es um Stichworte wie Blockchain, Supply Chain, Smart Cities, Services, Financial Services, Manufacturing, Roboter, Wandel in der Health Care.
Neben politischer Arbeit ist der Verein auch operativ tätig. Er organisiert Sommercamps für Jugendliche zu den Themen Robotics, Coding oder Entrepreneurship. Zudem organisiert er einen Digitaltag oder hat die Projektverantwortung für Startup-Events wie «Kickstart Accelerator» oder «Venture Kick» übernommen. All das hat oder hätte auch ohne Digital Switzerland stattgefunden. Aber der Verein bringt Leute und Firmen zusammen, Grossunternehmen und Startups, um mit einer starken gemeinsamen Stimme aufzutreten. Immer mit der Haltung: Der Wind des Wandels weht nach vorn, also mit Volldampf voraus. Bürer sagt: «Stoppen kann man diese Revolution nicht. Also machen wir unser Möglichstes, dass die Schweiz gut darauf vorbereitet ist. Es geht um Jobs. Um die Wirtschaft.» Die Schweiz biete hervorragende Voraussetzungen, sagt Bürer. Denn «beim Zusammenspiel zwischen Corporate und Startups ist die Schweiz top.»
Juni 2017, Swisscom-Gebäude, Pfingstweidstrasse im Zürcher Kreis 5, wo jährlich neue Glasblöcke in die Höhe schiessen. Corporate-Coworking-Bereich im 3. Stock. Holzstühle und Tische wie in einem Vintage-Brocki, grosse Wandtafel, hinter einem Screen steht ein gelbes Sofa auf bemalten Transport-Paletten. An der Fensterwand ist ein Tisch mit Schraubzwingen befestigt. Hier wird ganz konkret an der Wirtschaft, an den Jobs gearbeitet. Die Swisscom ist seit Beginn bei Digital Switzerland dabei. «Die Schweiz muss ihre Führungsrolle betreffend Innovation auch in der digitalisierten Welt behalten», schreibt Sprecher Armin Schädeli auf Anfrage.
An diesem Tag findet vor der Abreise der Schweizer Delegation zur Cébit, der grössten Tech-Messe Europas in Hannover, ein Medienapéro statt. Einige vielversprechende Startups dürfen mitfahren und dort die Schweiz repräsentieren. Nun stellen sie in wenigen Minuten vor den Medien ihre Geschäftsidee vor. Eingeführt werden sie von Jean-Pierre Vuilleumier, einem Schweizer Startup-Pionier, der beiläufig ankündigt, dass man daran sei, den Verein Swiss Startup Invest, Veranstalter der Swiss Startup Days in Bern, der schweizweit grössten Startup-Veranstaltung, in die Initiative Digital Switzerland zu integrieren. Ein paar Wochen später wird Digital Switzerland den Zusammenschluss offiziell bekannt geben. Die «Fusion» der beiden Vereine ist der logische Abschluss eines schleichenden Prozesses: Der Vereinnahmung der Schweizer Start-up-Szene durch die Digitalisierung. Und die Vereinnahmung der Digitalisierung durch die Wirtschaft.
«Die Schweiz», sagt Vuilleumier, «hat nur eine Chance, nur eine Zukunft, und das sind die Startups.» Je drei Minuten, nicht mehr. Advertina: Künstliche Intelligenz. Foto-Kite: No GPS, unsere Drohne fliegt 100% autonom. Itficient: Big Data für KMU’s. Legal Hub: Blockchain Dokumente. Qumram: Zeichnen alle Daten auf. Virtual ATM: Geld vom Pizzalieferanten abheben. Alptracker: Digitaler Herdenschutz. «Blockchain, Virtual Reality, Geo Fencing», sagt ein angesehener Digitalisierungsberater im Anschluss, «das sind genau die Art von Buzzwords, die Unternehmen hören wollen.» Es gehe darum, dass Startups und Unternehmen zusammenarbeiten und Startups «nicht nur in ihrer Disruptoren-Ecke sitzen.»
Grossunternehmen haben meistens Kapital, aber keine schlanken Strukturen, um Ideen auszuprobieren. Bei den Startups ist es umgekehrt. Digital Switzerland, das zeigt sich an diesem Tag, ist im digitalen Wandel eine grosse Schweizer Windmühle der Zentralisierung, welche Kapital und Ideen bündelt, ja neu zentralisiert, um Innovation zu kontrollieren. Was wohl Tim Berners-Lee dazu sagen würde?
April 2017, 2. «Dark Night» des Vereins Digitale Gesellschaft, Kulturzentrum Karl der Grosse in der Zürcher Altstadt. Einige Dutzend Männer und wenige Frauen verteilen sich im sorgfältig mit kleinen Tischchen und niedlichen Lampenkonstruktionen hergerichteten Saal. Sie heften sich Namensschilder an und tragen sich für Workshops mit Titeln wie «Was weiss mein Provider über mich?» und «Wie demokratisch ist E-Voting» ein, bevor sie in kleinen Gruppen zusammenstehen und Bekannte begrüssen. Ziel der Veranstaltung ist, Themen wie Datenschutz und Internetdemokratie einem breiteren Publikum zugänglich zu machen und die Diskussion um digitale Grundrechte zu beleben. Viele Informatiker sind hier, viele tragen schwarze Kleidung und langes Haar. Doch da sind auch ein paar junge Frauen und eine ältere Dame.
An der «Dark Night» riecht der Wind des Wandels nach einer Mischung aus Kaffee, Schweiss und der feinen Note einer weiten, saftigen Wiese an einem warmen Sommertag. Kurz vor Veranstaltungsbeginn sitzt Erik Schönenberger im Café des Kulturzentrums, vor sich ein Espresso. Schönenberger, 45 Jahre alt, ist Geschäftsführer der Digitalen Gesellschaft. Seit ihm der Verein seit kurzem ein 30-Prozent-Pensum aus Spenden zahlen kann, hat der Informatiker sein 80-Prozent Pensum als Kryptograf in einer Zürcher Cybersecurity-Firma auf 50 Prozent heruntergesetzt. Schönenberger trägt einen Hoodie mit der Aufschrift «24C3». Sein Lebenslauf ist typisch für die Generation der Internet-Pioniere. Er absolvierte eine KV-Lehre, bildete sich dann selbst zum Programmierer weiter – Informatiklehre gab es damals noch keine – richtete in der neu entstehenden Informatikbranche Computersysteme mit hunderten Servern ein und spezialisierte sich später auf IT-Sicherheit.
Schönenberger erzählt in etwa dieselbe Geschichte wie HTML-Erfinder Berners-Lee: Angezogen vom Duft der Freiheit erlebte seine Generation, wie sich auch in der neuen digitalen Welt neue Hierarchien und Mächte etablierten. Alte Herrscher, die Regierungen, blockierten das Internet oder überwachten es. Neue Herrscher wie die Tech-Giganten aus dem Silicon Valley machten es sich zum Geschäftsmodell, mit den persönlichen Daten der Nutzer zu handeln. Den Nutzern entglitt das Netz, das sie bildeten.
Im Januar 2011 beschlossen deshalb Vertreter von rund 15 Organisationen in Bremgarten, ihre Kraft gegen zwei neue Vorlagen zu bündeln: das Fernmeldegesetz Büpf und das Nachrichtendienstgesetz NDG. Beide sollten weitreichende Überwachung im Netz ermöglichen. Die Internetprovider sollten etwa zur Vorratsdatenspeicherung verpflichtet und Behörden zum Einsatz von Staatstrojanern ermächtigt werden. Schönenberger, der damals im der Swiss Privacy Foundation tätig war, wurde Geschäftsführer der neuen Digitalen Gesellschaft.
Schönenbergers Politstil ist zurückhaltend: Er will bloss Alternativen aufzeigen. In der Vernehmlassung zum Büpf schlug die «Digi Ges», wie sie sich selbst nennt, statt der flächendeckenden Vorratsdatenspeicherung einen «Quick Freeze» vor: Damit könnten Behörden Telekommunikationsanbieter verpflichten, die Daten von verdächtigen Personen ab sofort zu speichern, sie aber erst nach einem Gerichtsbeschluss auszuhändigen. Diese Lösung wurde nicht berücksichtigt. Doch Schönenberger erreichte im Mailwechsel mit Bundesrätin Simonetta Sommaruga sowie der fürs Büpf zuständigen Verwaltungsstelle, dass im Verordnungstext bloss die herkömmlichen Telekommunikationsanbieter und nicht andere Internetanbieter für die sechsmonatige Vorratsdatenspeicherung verpflichtet wurden. «Gerade für kleine Firmen wäre das problematisch gewesen», sagt Schönenberger, «so eine Vorratsdatenspeicherung muss man erst einmal technisch einrichten, zudem muss man trotz dem Speicherungsauftrag die Rechte der eigenen Kunden wahren.»
«Beim Büpf und beim NDG kamen wir zu spät», sagt Schönenberger. Das Büpf trat ohne Volksabstimmung in Kraft. Die Gegner, bestehend aus Jungparteien und Organisationen wie der Digitalen Gesellschaft schafften es nicht, die nötigen 50’000 Unterschriften zu sammeln. Das NDG wurde im September 2016 per Volksabstimmung mit 66 Prozent angenommen. Doch der Schwung ist noch da: Die Mitglieder haben kürzlich die Stellungnahme zum neuen Datenschutzgesetz abgegeben: Darin fordern sie das Verbandsbeschwerderecht für Datenschutz. Die Digitale Gesellschaft will künftig Firmen oder Behörden selbst wegen Datenschutzverletzungen einklagen können, damit nicht erst Privatpersonen oder die überlastete Datenschutzbehörde eingreifen müssen. «Etwa wenn Google Strassen abfotografiert und ohne Zustimmung der Passanten deren Gesichter im Netz veröffentlicht.»
Freiheitsaktivist Schönenberger reibt sich eher am Staat als den grossen Konzernen. Am 1. März hat das Parlament eine Internetsperre gegen ausländische Anbieter von Online-Glücksspielen ohne Konzession verhängt. Notabene mit einer Mitte-Links-Mehrheit und der Begründung der Suchtprävention, während SVPler argumentierten, dass nur Diktaturen Netzsperren verhängen. Bald sollen Seiten, welche illegal Musik oder Filme zum Download anbieten, gesperrt werden. Die digitale Gesellschaft hat Widerstand angekündigt. Natürlich sei er gegen Kinderpornografie und Spielsucht, sagt Schönenberg, aber es gehe darum, ein antiliberales Instrument einzudämmen. «Übermorgen verlangen dann vielleicht die Betreiber von Schweizer Bergbahnen, dass man die österreichische Konkurrenz sperrt, um den heimischen Tourismus zu schützen.»
Es wird wohl wieder ein schwerer Kampf werden. Doch Medien, Verwaltungen und Politiker sind an der Meinung der Digitalen Gesellschaft interessiert. Sie pflegt Kontakte mit Nationalräten wie dem Grünen Balthasar Glättli und Lukas Reimann von der SVP, die sich beide aus unterschiedlichen Gründen gegen staatliche Macht im Internet wehren. Sie vernetzt sich mit etablierten politischen Playern, mit Amnesty International oder dem Konsumentenschutz. Der Verein wächst stetig. Er verfügt über 200 zahlende Mitglieder. Private, aber auch Organisationen wie die Piratenpartei oder der Chaos Computer Club. Den harten Kern bilden 50 Leute, die sich ehrenamtlich engagieren, an Positionspapieren arbeiten und Parlamentarier anschreiben. «Die Bandbreite ist gross», sagt Schönenberger. «Vom 20-jährigen Aktivisten bis zum 65-Jährigen, der in den frühen 80ern im IBM-Labor in Rüschlikon programmierte, gibt es alles.»
In der «Dark Night» im Zentrum Karl der Grosse ist Essenspause, vor dem Salatbuffet steht eine Schlange. Ein junger Informatiker erzählt, wie er merke, dass die Botschaft der DigiGes langsam durchdringe. «Früher waren wir die Typen mit dem Aluhut», lacht er, Paranoiker. «Aber seit Snowden und NSA wissen die Leute langsam, was läuft.» Ein anderes Mitglied, ebenfalls Informatiker, erzählt, wie er durch die Arbeit am «Internet of Things», der Vernetzung von Haushaltsgeräten wie Lampen oder Backöfen, sensibilisiert worden sei. «Ich würde mir nie so ein Ding zutun», sagt der junge Informatiker. «Vergleichsweise wenige in unserem Verein haben ein Facebook-Profil», sagt Erik Schönenberger. Als sich die DigiGes am 6. Mai in Bremgarten zu ihrer halbjährlichen Grossversammlung trifft, wird sich jemand beklagen, dass niemand darüber getweetet habe.
In der letzten Workshop-Runde der «Dark Night» diskutiert eine bunte, rund 20-köpfige Gruppe über E-Voting. Das Problem: Es ist gegenwärtig nicht möglich, nach einem Urnengang die elektronisch abgegebenen Stimmen auszuzählen, ohne die Identität der Abstimmenden zu enthüllen.
«Ich finde, man könnte das regionalisieren, dann kann man auch nicht zentral alles manipulieren», sagt ein Teilnehmer.
«Ich glaube, das wäre schlecht», wirft ein zweiter ein. «Sogar der Sohn des Gemeindepräsis könnte dessen Computer manipulieren.»
«Das glaube ich nicht», bezweifelt ein dritter.
Auch wenn es ein kleiner Saal ist: Hier wird diskutiert, werden Lösungen erörtert. Doch abseits von Themen wie Datenschutz oder Netzdemokratie ziehen sich entlang der grossen Wirtschafts- und Sozialthemen politische Gräben durch die Digitale Gesellschaft. Für Internetdemokratie kämpfen hier sowohl junge SPler wie Grünliberale. «Deshalb nehmen wir keine Stellung zu diesen Themen», sagt eine kleine Gruppe Informatiker übereinstimmend. «Sie sind auch gar nicht unsere Hauptanliegen.» Schönenberger hingegen relativiert und bemüht sich um Einheit. Auch bei wirtschaftlichen Themen stelle man sich auf die Seite der Bürger- und Konsumentenrechte.
Trotz all der Konflikte, in denen er Stellung beziehen muss: Schönenberger erscheint so optimistisch wie Digital Switzerland-Geschäftsführer Bürer. «Wir führen keine Rückzugsgefechte», sagt er, angesprochen auf die Terrorangst, die den Bemühungen der DigiGes entgegenwirkt. «Wenn man sieht, dass man online eine Revolution organisieren kann, ohne dass sie vom Staat bemerkt wird, zeigt das schon die Kraft, welche die weltweite Vernetzung entfesseln kann.» Für Schönenberger und seine Mitstreiter ist das demokratische Internet, diese Vision einer offenen, enthierarchisierten Gesellschaft, welche Tüftler und Programmierer wie Tim Berners-Lee in den 90ern antrieb, keine Vergangenheit. Sie ist noch immer eine mögliche Zukunft, die es zu verwirklichen gilt. «Ich glaube, dass sich die Menschen entwickeln», sagt Erik Schönenberger, «und sich so weit ermächtigen können, um ihre Grundrechte auch im Internet zu wahren.»
Juni 2017, 10. Schweizerischer Datenschutztag, Uni Fribourg: ETH-Professor Dirk Helbing, ein deutscher Hüne in engem Anzug und glatter Pilzfrisur, springt von Folie zu Folie, als wäre er online. Alle paar Sekunden ein Slide. Klick, klick, klick. Es gilt keine Zeit zu verlieren, die unkontrollierte Datensammlung bedroht unsere Freiheit. Propaganda-Bots, Desinformation, Wahlmanipulation. Klick. Kontrolle ganzer Gesellschaften. Citizen Score in China. Klick. Der Mensch verliert, die Daten gewinnen. «Alles ist möglich, wenn Sie es zulassen», sagt er direkt zu den Anwesenden. Und zum Schluss dieser Tour de Force, nach über 120 Folien: «Ich bitte Sie! Handeln Sie! Danke.»
Helbings Publikum ist die Schweizer Internetverkehrspolizei: Datenschützerinnen und Datenschützer. Hauptsächlich sind sie Juristinnen und Juristen, angestellt bei Bund, Kantonen, Departementen, Ämtern, Verbänden, Beratungsfirmen oder Unternehmen. Sie haben sich in einem dieser kalten, modernen Hörsäle mit Betonwänden in die engen Reihen aus schmalen Holztischplatten und ausklappbaren Stühlen gezwängt. Bloss die Blumendeko und die aufgereihten Mineralwasserflaschen verraten, dass sie wegen etwas Bedeutungsvollerem als einer Vorlesung erschienen sind: Einer Unterhaltung über «Digitalisierung und Schutz der Privatsphäre», wie der Tagungstitel verrät.
Doch diese Unterhaltung ist kompliziert. Denn nicht etwa mit Buzzwords gespicktes Internet-Englisch wie am Worldwebforum, sondern Französisch und Deutsch sind die Konferenzsprachen. Und nur wenige im Saal beherrschen beide Sprachen gut genug. Schon beim Begriff der Digitalisierung wird es schwierig. Auf Französisch heisst sie «ère numérique», Ära der Zahlen. Ein Zeitalter, kein Prozess. Während ETH-Professor Helbing in Deutsch aufrüttelt, konstatiert sein Nachfolger, Professor Bertil Cottier, Rechtsprofessor an der Uni Lugano, Rechtsunsicherheit und Privatisierung der Gesetzgebungsfunktion im Internet auf Französisch. Und als kurz vor dem Mittag gemäss Programm so etwas wie eine Diskussion aufkommen soll und ein Teilnehmer angeregt und minutenlang auch auf Helbings Vortrag Bezug nimmt, antwortet dieser, er habe bloss «nudging» verstanden.
Der Wind des digitalen Wandels riecht hier wie ein ärgerlich penetranter Furz, den man nicht länger ignorieren kann. Und doch herrscht ein trotziger Optimismus. Eine kollektive Datenschützerstimme würde an diesem Tag in etwa sagen: «Ja, die Digitalisierung ist zwar ein riesiger Haufen Probleme: Wir haben zu lange geschlafen, wir müssen etwas tun gegen «Kollege AGB», der das Konsensprinzip aushöhlt, weil die Benutzer sich mit Datendeals einverstanden erklären müssen, von denen sie nichts wissen. Wir müssen etwas tun gegen das Geschäftsmodell der grossen Konzerne, die Daten umsonst einsammeln und weiterverkaufen. Aber auch ja: Wir können etwas tun!» In ihrem kurzen Kommentar sagt Eva Maria Belser, Professorin für Verfassungsrecht und Verwaltungsrecht an der Uni Fribourg: «Der Staat muss uns in unseren Grundrechten schützen». Es dürften keine Persönlichkeitsprofile erstellt werden. «Ich habe Sympathien für gute alte Verbote wie Verkehrsregeln».
Eine Woche später sitzt der Eidgenössische Datenschutzbeauftragte Adrian Lobsiger, Ende Fünfzig, kurzes weisses Haar, feine elegante Hornbrille, in seinem Büro in einem versteckten, modernen Verwaltungsgebäude hinter dem Berner Helvetiaplatz. Blickt er durch sein Fenster, sieht er nicht etwa das Bundeshaus, das direkt gegenüber auf der anderen Aareseite thront, sondern die Fassade der Kirche Christi Wissenschaftler. Das Büro ist bescheiden für einen Chefbeamten: Ein Büchergestell, eine kleine Nespressomaschine und ein Gemälde des Berner Impressionisten Fernand Giauque. Hier riecht der Wind des digitalen Wandels nicht mehr nach menschlichem Abgas, sondern nach einem technischen Problem, das ein geschickter Heimwerker beheben kann. Ein durchgebranntes Sicherungskabel oder eine kaputte Glühbirne. «Die Message vom Systemcrash ist nicht meine Botschaft», sagt er über Dirk Helbings Vortrag. «Die Justiz hat rechtliche Instrumente und die Fachkompetenz, um die Grundrechte wie das Recht auf Privatsphäre auch im digitalen Zeitalter zu schützen.»
Seinen Optimismus nährt das neue Datenschutzgesetz, welches kommendes Jahr in Kraft treten soll und dessen Botschaft nach Abschluss des Vernehmlassungsverfahrens im April in Bearbeitung ist. Es soll sich am neuen Datenschutzgesetz der EU orientieren, welche diese strengeren Richtlinien in einem aufwändigen Prozess und gegen den harten Widerstand der Wirtschaftslobby beschlossen hat. Eine rekordhohe Zahl von über 4000 Änderungsanträgen war eingegangen. Das neue Gesetz nun soll dem Datenschützer mehr Macht geben. Er kann von Daten sammelnden Unternehmen höhere Transparenz einfordern, die Erstellung von Persönlichkeitsprofilen erschweren und härtere Strafen bei Verstössen aussprechen. Es sieht beispielsweise Privatsphäre «by Design» und «by Default» vor: Der Schutz der persönlichen Daten muss von Anfang an Bauteil von digitalen Plattformen sein. Als Beispiel hat Lobsiger erreicht, dass Microsoft im neuen Betriebssystem derartige Optionen anzeigt. Er möchte aber auch die Datenverarbeitung der Unternehmen überprüfen können. Diese sollen auch die Wirkungsweise von Algorithmen gegenüber ihren Kunden offenlegen. Transparenz und Selbstbestimmung der User sollen zu klareren Verhältnissen führen: «Komplexität darf kein Killerargument mehr sein, um Verantwortung abzulehnen. Wer Daten sammelt, muss Verantwortung übernehmen.»
Das ist in der Theorie und in Einzelfällen bereits Tatsache. Richter hätten sehr wohl die Kompetenz zu beurteilen, ob ein Unternehmen verantwortungsvoll mit Daten umgehe, wie der Fall Moneyhouse zeige, führt Lobsiger aus. Doch was in der Theorie funktionieren sollte, ist in der Praxis nicht so einfach. Weil die konkrete Gesetzgebung vielerorts fehlt, bräuchte Lobsiger mehr exemplarische Urteile – und das dauert. Zudem hat er aktuell bloss 24 Mitarbeiter zur Verfügung. Das sind zu wenige, um die Daten der Schweizer Internetuser nachhaltig zu schützen und nicht bloss zu begleiten und beraten. Er braucht mehr Fachkompetenz, um die Praktiken im digitalen Raum genauer beurteilen zu können: Informatiker mit juristischem Hintergrund. Den gesetzlichen Auftrag könne man zwar stets erfüllen, aber «die Beratungs- und Kontrollintensität ist ressourcenabhängig.»
Mitte Juni 2017, ETH-Campus Hönggerberg, Gebäude HPT, Departement Biologie: das Büro von Ernst Hafen, Professor für Systembiologie, gross, schlank, charismatisch, jungenhaftes Gesicht — auf den ersten Blick eher Sportler mit naturwissenschaftlichem Lehrstuhl als Biologieprofessor mit Bewegungsdrang. An der Wand hängt ein Bildschirm mit Kamera für Videokonferenzen, am Büchergestell lehnt ein schnelles Fahrrad, auf den Tischen stapeln sich Populärwissenschaftsbestseller aus Übersee: Ed Yongs I Contain Multitudes, Siddhartha Mukherjees The Gene. Bei Hafen riecht der Wind des digitalen Wandels nach einer Mischung aus Desinfektionsmittel, Multivitaminsaft und Quartiergrillfest. Die digitale Zukunft der Schweiz wird gut, gesund und friedlich für alle.
Zusammen mit anderen Wissenschaftlern wie Dirk Helbing, dem Verhaltensökonomen Bruno S. Frey, dem Philosophieprofessor Michael Hagner oder dem deutschen Psychologen Gerd Gigerenzer veröffentlichte Hafen Ende 2015 in der Zeitschrift Spektrum der Wissenschaft ein digitales Manifest mit dem Titel «Digitale Demokratie statt Datendiktatur». Vor wenigen Monaten auch im Scientific American publiziert, ist die Schrift Warnruf und Lösungsstrategie zugleich. Zum Schluss listet sie zehn Grundprinzipien auf, um den technologischen Fortschritt mit unseren gesellschaftlichen Grundrechten zu vereinbaren. Nummer 1: Dezentralisierung von Informationssystemen. In einer begleitenden Lösungsskizze fordert sie unter anderem, dass es ein Recht auf eine Kopie der persönlichen Daten geben sollte, welche den Bürgern in einem standardisierten Format ausgehändigt wird. Analog zur Kopie der Röntgenbilder beim Arzt.
Diese Idee hat ihren Ursprung in einem Weihnachtsgeschenk: 100 Franken pro Stück kosteten die DNA-Analysen beim Unternehmen 23 and Me, die er 2008 Frau und Kindern geschenkt hatte. «Das kann doch nicht sein», dachte er. Hafen störte sich aber nicht am Preis, sondern an der Tatsache, dass die Firma die Daten seiner Familie Pharmakonzernen wie Genentech und Roche zu Forschungszwecken zur Verfügung stellte, ohne dass er dabei mitreden konnte. Die Lösung des Problems zeigte sich in Gesprächen mit dem befreundeten Informatikprofessor Donald Kossmann: Eine Genossenschaft, welche die Daten ihrer Mitglieder speicherte. Diese wiederum können selbst über die Verwendung ihrer Daten bestimmen. Hafen gründete mit Gleichgesinnten einen Verein, vernetzte sich so weiter und stiess mit dem Medizininformatiker Serge Bignens von der Berner Fachhochschule auf den idealen Verbündeten. 2015 gründeten sie die erste MIDATA-Genossenschaft. Am Berner Inselspital läuft damit ein erstes Projekt, bei welchem erforscht wird, inwiefern operierte Adipositas-Patienten mit körperlicher Aktivität ihr Wohlbefinden steigern können. Doch derartige Gesundheitsprojekte sollen erst Anfänge sein: Hafens Projekt ist grösser, viel grösser. Er lehnt sich zurück und wirft die Arme in die Luft. Während seiner kurzen Amtszeit als ETH-Präsident von der Wochenzeitung als «Berufsrevolutionär» bezeichnet, will Hafen mit seinen Datengenossenschaften das gesamte Netz mit einer Art digitaler sozialer Marktwirtschaft demokratisieren.
Im Visier hat Hafen alle persönlichen Daten, die wir generieren: Bildungsdaten, welche unsere Scores eines Online-Tests bei Coursera enthalten. Oder Verhaltensdaten, welche die Anzahl unserer Schritte in Nike+ oder unserer gefahrenen Kilometer auf Strava erfassen. «Sie sind viel wichtiger als der Blutdruck-Checkup beim Arzt alle zwei Jahre», erklärt er. «Google weiss zwar, wonach Sie suchen, welche Seiten Sie besuchen, was Sie schreiben. Aber nur das Individuum hat das Recht, all seine Daten zusammenzuführen. Das kann nur ein Mensch, das können nur Sie.» Hafen sieht «eine parallele Datenökonomie, die auf von Bürgern verwalteten Kopien der persönlichen Daten beruht und uns allen zugute kommt». Neue Unternehmen können zum Beispiel personalisierte Marathon-Trainingsprogramme anbieten, die auf der Analyse von Genom-, Ernährungs- und Fitnessdaten beruhen. Das Ethik-Komitee der Genossenschaft überprüft die AGBs und stellt sicher, dass die persönlichen Daten nicht an Dritte verkauft werden.
Als ersten Schritt braucht Hafen dafür die Verankerung des erwähnten Rechts auf digitale Kopie der eigenen Daten in der Verfassung. Der Staatsrechtler Thomas Gächter hatte ihn darauf hingewiesen; eine «urliberale Idee», die Hafen mit John Rawls’ Begriff der «property-owning democracy» verbindet. Ende 2015 wollte FDP-Nationalrat und «Member of the Executive Committee» von Digital Switzerland, Fathi Derder, dieses Recht per Postulat im neuen Datenschutzgesetz unterbringen. Doch das Vorhaben scheiterte. Und auch Hafen fehlt noch die Unterstützung von Politik und Wirtschaft, grosser Zusammenschlüsse wie Digital Switzerland oder Economiesuisse. Während FDP-Vertretern die Idee der Genossenschaft widerstrebt, haben ihm Wirtschaftsverbände signalisiert, dass eine Weitergabe der Daten an die Nutzer für ihre Unternehmen einen Wettbewerbsnachteil darstellen würde. «Wir brauchen eine Studie, die belegt, dass dieses Recht von wirtschaftlichem Vorteil für die Schweiz sein kann», sagt Hafen.
Kürzlich regte der Professor mit der vor wenigen Monaten gegründeten Swiss Data Alliance eine Volksinitiative zur verfassungsrechtlichen Verankerung des Rechts auf Kopie der eigenen Daten an. «Noch ist sie wishful thinking». Doch Hafen ist bezüglich seiner spezifischen, alternativen Vision mindestens so optimistisch wie Nicolas Bürer von Digital Switzerland, Erik Schönenberger von der Digitalen Gesellschaft oder Datenschützer Adrian Lobsiger: Es kann wirklich klappen. Die Schweiz kann wirklich Vorreiterin sein bei der Demokratisierung der Daten. Sie kann einen Standard schaffen, an den sich im digitalen Raum alle halten müssen – sofern sie das will. «Vielleicht sollten wir es einfach probieren», sagt Ernst Hafen. «Mit der Initiative haben wir ein einzigartiges, urdemokratisches Mittel einer Governance, welche wir auch in der digitalen Gesellschaft brauchen. Es wird Zeit, dass wir sie wieder sinnvoll nützen, bottom-up, nicht bloss gegen Minarette.»
Professor Ernst Hafen ist also optimistisch, dass die Schweiz eine genossenschaftlich organisierte Datenwirtschaft etablieren kann, die auch gewöhnlichen Menschen dient. Nicolas Bürer von Digital Switzerland ist optimistisch, dass die Schweiz im globalen Wettbewerb der digitalen Wirtschaft Wohlstand und Jobs für gewöhnliche Menschen schaffen kann. Erik Schönenberger von der Digitalen Gesellschaft ist optimistisch, dass er gewöhnlichen Menschen helfen kann, ihre Freiheitsrechte auch im digitalen Raum zu schützen. Und Adrian Lobsiger ist optimistisch, dass er die Grundrechte gewöhnlicher Menschen auch im Netz schützen kann. Alle müssen sie sich optimistisch zeigen, weil sie nichts dringender brauchen als das Vertrauen gewöhnlicher Menschen. Menschen, von denen die meisten nicht viel von Programmiersprachen oder von Netzwerken verstehen, weil sie auch nicht viel davon verstehen wollen. Menschen, die fühlen, dass sie nie digital essen, nie digital schlafen oder duschen werden und manchmal lieber mit Freundinnen einen Kaffee trinken, als in einem Messenger zu chatten. Menschen aber auch, von denen in der Schweiz gemäss der Studie digiMonitor 2016 fast 80% täglich das Internet und fast 70% ein Smartphone nutzen.
Mitte Juni 2017. Datenschützer Adrian Lobsiger gibt im Rahmen seiner Jahresmedienkonferenz zu verstehen, dass seine Behörde nicht nur «zusätzliche Instrumente und Befugnisse», sondern auch «angemessene Mittel zu deren Umsetzung» braucht. Bundesrat Johann Schneider-Ammann will eine weitere Windmühle bauen. Er hat einen Zusatzkredit von etwa 150 Millionen Franken für digitale Bildungsmassnahmen beantragt. «Damit wir uns später nicht den Vorwurf machen müssen, wir hätten etwas verschlafen.» «A delight to hear», kommentiert Digital Switzerland auf der eigenen Website. «This is one of the cornerstones of our initiative.» Ernst Hafen verbrennt auf einer mehrtägigen Mountainbike-Tour quer über die Alpen Kalorien und Erik Schönenberger schwitzt auf einer mehrwöchigen Veloreise durch Norwegen.